Wie wir – und ob wir überhaupt noch – in einem vernetzten Unternehmen arbeiten.

Wie wir – und ob wir überhaupt noch – in einem vernetzten Unternehmen arbeiten.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird nicht müde zu behaupten, dass die neue Welt rosarot ist… oder vielleicht doch eher kunterbunt und widde widde wie sie ihr gefällt?
Muss sie ja (möglicherweise) auch, wenn mit einem solchen Amt ausgestattet.

#leanmagazin
am 01. 09. 2016 in LeanMagazin von Ralf Volkmer


Gerade wieder bei der Vorstellung der Analyse „Arbeitsmarktprognose 2030“ – erstellt von einem internationalen Konsortium um den Auftragnehmer Economix und natürlich im Auftrag des BAMS – sagte besagte Frau Bundesministerin:

„Die Arbeitsmarktprognose 2030 bestätigt unsere Einschätzung, dass wir am Ende sogar mehr Arbeitsplätze haben werden, wenn wir diesen Wandel gut gestalten. Aber die Arbeitsplätze von morgen verlangen auch neue Tätigkeiten mit neuen Anforderungen. Wir unterstützen Arbeitskräfte und Arbeitgeber am besten, indem wir ihnen Zugang zu guter Weiterbildung und mehr Weiterbildungsberatung ermöglichen. Wir brauchen ein gesetzliches Anrecht auf Weiterbildung, die auch über den Bedarf des Betriebes hinausreichen kann. Es geht darum, dass auch in Zukunft jeder bis zur Rente seinen Platz am Arbeitsmarkt findet. Wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Politik an einem Strang ziehen, dann schaffen wir das. Deutschlands größter Trumpf ist die Sozialpartnerschaft, wir sind gemeinsam stark.“

Ganz bestimmt findet Frau Bundesministerin auch ganz toll, was da gerade bei Adidas vor sich geht. Im Mai dieses Jahres wurde dort, oder besser gesagt bei dem fränkischen Unternehmen Oechsler in Ansbach, lauthals die sogenannte Speedfactory vorgestellt. Wie zu lesen ist, spricht Herbert Hainer, Konzernchef des zweitgrößten Sportartikelherstellers der Welt, gar von einer Revolution. Von Revolution für Unternehmen sprechen auch die Protagonisten von Industrie 4.0, doch dazu später.

Ziel von Adidas ist es, künftig den „individuellen“ Schuh im Ansbacher Unternehmen zu produzieren. Konkret geht es um die Sneaker-Fertigung, welche man aus Fernost zurück nach Deutschland geholt hat.

In dieser besagten Speedfactory, welche -wie schon erwähnt – durch den Mittelständler Oechsler betrieben wird,  taucht nun die Frage auf, warum Adidas die Produktion nicht selbst ausführt. Doch müsste eigentlich diskutiert werden, wer bzw. wie dort „gearbeitet“ wird, um den Sneaker zu fertigen. Denn nur sage und schreibe 160 Mitarbeitende sollen in den nächsten Jahren eine halbe Million Schuhe produzieren. Angesichts 300 Millionen Paar Schuhe, die Adidas im vergangen Jahr verkauft hat, ist dies im Grund genommen „nicht der Rede wert“, könnte man meinen. Doch keine Bange, „Adidas“ wird nach eigenen Angaben schon im kommenden Jahr eine weitere Speedfactory eröffnen, in den USA und nicht in Deutschland, weitere werden folgen, diese jedoch ebenfalls nicht in Deutschland!

Frau Bundesministerin Nahles, fühlen Sie sich angesichts dieser Entwicklungen in Ihrer Einschätzung bestätigt, dass wir am Ende sogar mehr Arbeitsplätze [in Deutschland] haben werden? Ich gehe einmal davon aus! Ich gehe gleichfalls davon aus, dass Sie sich auch bestätigt fühlen, wenn der Konzernchef von Adidas sagt, „dass Mitarbeiter veränderte Qualifikationen mitbringen müssen“ und „vor allem Techniker benötigt werden, die Maschinen warten und bedienen.“
Doch weswegen  sagt das der oberste Adidasler überhaupt? Im Grunde könnte es ihm egal sein, denn „seine“ Schuhe werden ja nach wie vor nicht bei „ihm“ produziert, sondern bei einem Zulieferer, welcher natürlich vertraglich gebunden wurde, damit dieser seine Technik nicht an die Konkurrenz verkauft. Wie das in die „Hosen gehen“ kann, haben wir ja die Tage bei VW erlebt, aber auch das ist eine andere Geschichte.

160 – in Worten einhundertsechzig – „neue“ Arbeitsplätze wurden also geschaffen in Deutschland. Angesichts der Tatsache, dass wahrscheinlich Hundertschaften in Fernost bisher den Sneaker hergestellt haben, ist das doch eine tolle Bilanz, oder?

Das Paradies, das Schlaraffenland wird es auf dieser Erde nicht geben und bleibt somit eine Wunschvorstellung oder eine Illusion, weil weder der Einzelne, noch die Gesellschaft auf die notwenige Erwerbsarbeit verzichten können. Wohlstand und Wohlbefinden müssen erst einmal produziert, erarbeitet und verdient werden. Was aber passiert mit denen, die vom erwerbsmäßigen Produzieren, Erarbeiten und Verdienen ausgeschlossen werden? Wenn wir blindlings den Protagonisten von „4.0“ folgen, gibt es keine Arbeit mehr für die allermeisten in unserer Gesellschaft.

Mit dieser Aussage folge ich dessen, was Prof. Dr. Andreas Syska und Philippe Lièvre in Kapitel 7 unter der Überschrift Mitarbeiter 4.0 in „Illusion 4.0 – Deutschlands naiver Traum einer smarten Fabrik“ niedergeschrieben haben.

Bei Industrie 4.0 geht es darum, durch Vernetzung von Maschinen und Werkstücken die Fabrik zu perfektionieren [wie in Ansbach mit dem Adidas „Partner“ und bisherigen Zulieferer Oechsler].
Das in dieser Fabrik auch Menschen beschäftigt sind, wurde den Protagonisten von Industrie 4.0 erst später bewusst. Sie wussten, dass sie sehr bald würden erklären müssen, was mit dem Mensch geschieht.

Wenn Sie, Frau Bundesministerin, nun „ein gesetzliches Anrecht auf Weiterbildung, die auch über den Bedarf des Betriebes hinausreichen kann“ fordern, so stellt sich mir erstens die Frage, was Sie genau mit „über den Bedarf des Betriebes hinausreichen kann“ meinen und zweitens, von welcher Art der Qualifizierung Sie hier reden? Wie sie ja sicherlich mitbekommen haben und somit wohl auch wissen, sind bereits heute zahlreiche Jobs flöten gegangen. Und dies beileibe nicht nur in der Produktion, sondern in den sogenannten administrativen Bereichen der Unternehmen sowie bei Banken und Versicherungen. Betroffen sind – und das ist ihrer Aufmerksamkeit sicherlich ebenfalls nicht entgangen – nicht die BilligJobs. Nein, betroffen sind alle automatisierbaren Routinetätigkeiten und dies nicht nur auf den unteren Hierarchieebenen in Unternehmen.

Auch wenn die Unternehmen nicht müde werden, ständig zu beteuern, dass man die Fabriken nicht wie bei CIM menschenleer machen möchte, so wird die Automatisierung und die Roboterisierung stetig vorangetrieben und damit zwangsläufig die menschliche Arbeitskraft ersetzen. Alles nur Fiktion? Na gut, dann schauen Sie doch mal hier!

Bereits Ende der sechziger Jahre warnte der Psychoanalytiker Erich Fromm vor der Bedrohung des „modernen Menschen“ und meinte: „Eine Grundvoraussetzung menschlichen Wohlergehens sei es, aktiv zu sein, also alle seine Fähigkeiten auszuüben.“ (FROMM 1968/1974 S. 85). In Zukunft muss daher die drohende Passivierung des Menschen aufgehoben werden, sonst werden einige Privilegierte intensiv arbeiten, die Mehrheit aber mit der Lebensbewältigung beschäftigt sein. Wollen wir das wirklich?

Eigentlich wäre es doch sehr einfach, wir müssten uns nur an Henry Ford erinnern. Ford hatte sehr schnell erkannt, dass „seine“ eigenen Mitarbeiter ein enormes Marktpotential darstellen. Daher „baute“ er preisgünstige und funktionale Autos, reduzierte die Wochenarbeitszeit und erhöhte den Stundenlohn. Schließlich sollten die Ford-Mitarbeiter Zeit und (ausreichend) Geld haben, um das Automobil erwerben und nutzen zu können.
Hierzulande ist Robert Bosch zu nennen, welcher ähnlich wie Ford verstanden hatte, dass Produktivitätssteigerung und günstige Massenprodukte nur dann sinnvoll sind, wenn die Menschen auch in der Lage sind, sich die Produkte leisten zu können.

„Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle!“, sagte Robert Bosch einst.

Und denkt man all dieses hinsichtlich des „Turnschuhs“ – produziert in der Speedfactory des Adidas Partners – zu Ende, könnte einem schwindelig werden. Künftig gehen wir – also diejenigen, die es sich noch leisten können – in einen „Laden“, lassen uns dort von einer „Maschine“ den Fuß vermessen, laden von unserem Smartphone ein Bild unserer Liebsten hoch, suchen uns ein passendes Design aus und fertig ist der Lack. Bezahlt wird natürlich vor Ort im „Laden“ und geliefert bekommen wir unsere höchst individuellen Paar „Turnschuhe“ an eine Packstation eines Dienstleisters, um diese dort selbst abzuholen. Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, dass sich aus einem solchen „Ansatz“ auch neue Geschäftsmodelle für den Sportartikelhersteller ergeben können, wie dies beispielsweise bei FORD bereits der Fall ist, indem Daten des Regensensors für den Scheibenwischer an einen Wetterdienst weiterleitet werden, um noch genauerer Vorhersagen machen zu können. Und wir so ja bereits heute täglich auf irgendeine Art unseren digitalen Fußabdruck hinterlassen.

Dass Sie mich jetzt bitte nicht missverstehen! Ich bin nicht gegen den Fortschritt, sage auch nicht wie mein Vater, als er erstmalig gesehen hatte, dass ein Stück beschriftetes Papier aus meinem ersten Telefaxgerät wie von Zauberhand herauskam: „… bin ich froh, dass ich mich nicht mehr damit beschäftigen muss.“
Was ich allerdings nicht verstehe ist, wie wenig realitätsnah beispielsweise Frau Bundesministerin Nahles zu sein scheint. Dabei bräuchte Sie einfach nur in das 1997 erschienene Buch von Horst W. Opaschowski mit dem Titel „Deutschland 2010 – Wie wir morgen leben, Voraussagen der Wissenschaft zur Zukunft unserer Gesellschaft“ zu schauen, in welchem folgendes zu lesen ist:

In einer nachindustriellen Gesellschaft bekommt Arbeit und Freizeit ein anderes Gesicht. Beide Lebensbereiche müssen ihren Anspruch auf „sinnvolle“ Beschäftigung einlösen. Dabei geht es um die Frage, welchen Beitrag die Arbeitswelt von Morgen zur Sinnerfüllung des Lebens beitragen kann.

Wenn also bereits im Jahre 1997 von einer nachindustriellen Gesellschaft in Deutschland gesprochen wurde, kann man nur feststellen, dass ordentlich Zeit verplempert wurde, um sich tatsächlich auf die Zukunft vorzubereiten. Vielleicht trifft aber auch zu, was Gunnar Sohn in seiner Notiz und in Vorbereitung auf die YouBusiness-Talkrunde am 6. September um 16 Uhr zum Thema „Wo bleibt der Mensch in vernetzten Unternehmen?“ bereits niedergeschrieben hat.

Konzerne, Kirchen, Gewerkschaften, Stiftungen, Verbände und sonstige Zirkel agieren als geschlossene Systeme. Das Feedback und das Belohnungsszenario – Aufstieg, Ruhm, Kohle – funktionieren primär intern. Einmal etablierte Routinen werden aufrechterhalten unabhängig von den Veränderungen der äußeren Bedingungen. Patronage und Ochsentour sind wichtiger als echte Partizipation und Transparenz. Wer diese Statik infrage stellt, wird als naiv, primitiv oder esoterisch abqualifiziert.

Und nun? Da die die Zukunft nun einmal nicht aufzuhalten ist, werden neue Modelle benötigt, möglicherweise neue Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen, gepaart mit ordentlicher Entlohnung. Erinnern Sie sich noch an Henry Ford?
Im Rahmen des KölnerGespräches haben Prof. Dr. Syska, Dr. Winfried Felser und ich – nur ganz kurz – ein solches, neues Modell gesponnen. Die Idee ist folgende, wir reduzieren die aktuelle wöchentliche Arbeitszeit um 50% und dies bei vollem Lohnausgleich! Dadurch hätten „wir“ alle mehr Zeit und könnten uns beispielsweise um unsere Kinder kümmern, ihnen ein Begleiter sein und die „Alten“ müssten nicht mehr abgeschoben werden. Es würde so dem Wahnsinn, den sich unsere  Gesellschaft – im Übrigen auch zu exorbitanten Kosten, welche schon heute auf uns abgewälzt werden – erlaubt, ein Ende gesetzt werden.
Ich gebe zu, eine etwas verrückte These. Doch ist es nicht das, was unsere Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles mit „wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Politik an einem Strang ziehen, dann schaffen wir das. Deutschlands größter Trumpf ist die Sozialpartnerschaft, wir sind gemeinsam stark“ meint?



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