Ist die Farbe „Blau“ schön?

Ist die Farbe „Blau“ schön?

Was hat diese Frage wohl mit der Thematisierung rund um Lean zu tun? Keine Angst. Das wird Ihnen im Laufe dieses Beitrages bewusst werden, so hoffe ich natürlich. Falls dies nicht der Fall sein sollte, kontaktieren Sie mich gerne, um in einen weiterführenden Diskurs zu gehen.

#leanmagazin
am 09. 04. 2020 in LeanMagazin von Conny Dethloff


Rund 25 Jahre nach der Ersterscheinung des Buches „Die zweite Revolution in der Automobilindustrie“, in welchem erstmalig Ideen und Gedanken rund um Lean formuliert wurden, ist ein guter Zeitpunkt gekommen, um in medias res zu gehen.

  1. Haben Unternehmen, die Methoden nach Lean eingesetzt haben, Erfolge zu verzeichnen, und diese dann auch vorrangig wegen des Einsatzes dieser Methoden?
  2. Ist Lean heute überhaupt noch zeitgemäß?
  3. Muss Lean neu gedacht werden?

Ich möchte mit diesem Beitrag Stellung beziehen. Dafür möchte ich erst einmal aufgreifen, was Lean überhaupt bedeutet, und wie eine Integration, von Trennung spreche ich grundsätzlich und insbesondere in diesem Zusammenhang ungerne, zu Agil zu denken und zu handhaben ist.

Ich werde an einigen Stellen in diesem Beitrag immer mal wieder auf einige meiner Beiträge im Netz verlinken, wenn es aus meiner Sicht angebracht ist, für interessierte Leser auf tiefergehende Erläuterungen meiner Ideen und Gedanken zu verweisen, die den Rahmen diesen Beitrages sprengen würden.

Was bedeutet Lean und wie lässt sich eine Integration mit Agil denken?

Ein Unternehmensalltag ist voller Prozesse. Jedwede Aktivitäten, die Menschen in Unternehmen ausführen, werden in Prozesse verpackt. In meinen Augen besteht der Unterschied zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Unternehmen unter anderem darin, dass die erfolgreichen ihre Prozesse konsequent auf Mehrwertgenerierung ausgerichtet haben, ihre Prozesse detailliert kennen und stetig verbessern, mit dem Ziel, den Durchsatz an Mehrwerte für den Kunden zu erhöhen.

Mit Verstehen der Prozesse meine ich nicht das Verschriftlichen in Dokumente oder das Durchmodellieren in einer Software. Diese Tätigkeiten dürfen nicht zum Selbstzweck mutieren, sondern müssen stets Mittel zum Zweck sein, um die Prozesse im Sinne einer Mehrwertgenerierung für den Kunden zu verbessern.

Lean Management wurde von Toyota in einem spezifischen Kontext erfunden. Es ging konkret darum, das Unternehmen nach dem zweiten Weltkrieg wieder wettbewerbsfähig zu gestalten.

Der Denkrahmen rund um Theory of Constraints, abgekürzt mit ToC, machen die Ideen hinter Lean deutlich. Übersetzen kann man ToC mit „Theorie der Engpässe“. Eliyahu Goldratt, ein israelischer Physiker, hat dieses Denkgebäude ab 1979 im Rahmen von Untersuchungen zu Abläufen in Unternehmen entlang einer Supply Chain entwickelt. Er deckte mit seinen Erkenntnissen einen Lösungsweg auf, wie Prozesse jeglicher Art, egal ob in der Produktion, im Marketing, in Projekten etc., die in abhängige Teilprozesse auf verschiedene Ressourcen verteilt sind, optimal gestaltet und durchführt werden sollten. Wie der Name „ToC“ schon ausdrückt, geht es darum, sich auf das Wesentliche der Ablaufkette zu konzentrieren und das ist der Engpass oder auch anders ausgedrückt, das schwächste Glied in der Prozesskette. Es ist wichtig, genau diesen Engpass zu identifizieren, diesen dann bestmöglich zu nutzen und dabei alles andere dieser bestmöglichen Nutzung des Engpasses unterzuordnen, wenn notwendig den Engpass zu erweitern und dann wiederum den neuen Engpass in der Ablaufkette zu identifizieren. Ich empfehle Ihnen diese sehr gute Simulation, die ToC anschaulich erklärt.

Beschäftigt man sich mit Lean ist es aus meiner Sicht unerlässlich, eine Versöhnung mit den Ideen hinter Agil vorzunehmen. Beides, Lean und Agil, stellen Mindsets (Geisteshaltungen) dar, keine Methoden. Das werden wir im Rahmen dieses Beitrages noch ausführlich thematisieren.

Während man mit einem Mindset nach Agil eine hohe Priorität darauf legt, auf veränderte Anforderungen der Kunden und der Wettbewerber reagieren zu können, was in einer sehr flexiblen Vorgehensweise resultiert, ist das Ziel hinter Lean, die Prozesse möglichst zu standardisieren und so weit zu vereinfachen, bis nur noch die Elemente übrig bleiben, die wesentlich zur Wertschöpfung beitragen.

Durch die Verschmelzung von Lean und Agil erreicht man eine integrierte Fokussierung von Ergebnissen und Prozessen, die zur Generierung von Mehrwerten notwendig sind und welche unerlässlich für die Sicherung der Lebensfähigkeit von Unternehmen ist.

Wie schafft man Orientierung in einem Unternehmen im Sinne eines gemeinsam gewollten Ganzen? Bei der Beschäftigung mit dieser Frage fokussiert man sich zunächst auf einen Zielzustand: Was soll erreicht werden? Man argumentiert ergebnisorientiert. Wurde hier Einigung erzielt, wird ausgearbeitet, wie dieser Zustand (diese Zustände) erreicht werden soll(en). In dieser Phase geht man dann in die Prozessorientierung über. Die Orientierung erreicht ihre Reife im Sinne eines Prozessmanagements. Es werden Rollen, Aktivitäten, Verantwortlichkeiten etc. definiert und diese gesteuert.

Hat man einen bestimmten und gewünschten Zielzustand in der Zukunft im Fokus (Ergebnisorientierung), sind Aktivitäten, diesen zu erreichen, Mittel zum Zweck. Geht man in die Phase der Prozessorientierung über, werden diese Aktivitäten ganz schnell zum Selbstzweck. Diese Pfadabhängigkeit kann man dann auch nicht mehr so einfach verlassen, da Rollen und Verantwortlichkeiten und damit Existenzen von Menschen daran gekoppelt sind. Auf genau diese Herausforderung, die aus einem „Entweder-Oder-Denken“ resultiert, gehe ich im letzten Kapitel dieses Beitrages ein, denn sie ist oft eine Hürde, den Mindset hinter Lean und Agil erfolgreich in Methoden einfließen zu lassen.

Mit jeder Aktivität, die in einem Unternehmen ausgeführt wird, sollte stets die Frage einhergehen, welchen Mehrwert im Sinne des gewünschten gemeinsam gewollten Zielzustandes diese Aktivität stiftet. Die Aktivitäten, für die eine Beantwortung nicht gegeben werden kann oder wo man sich damit schwer tut, sind Streichkandidaten.

Es muss stets ein gesunder Mix zwischen Ergebnis- und Prozessorientierung bestehen. Ohne Prozessorientierung gibt es erst gar kein Ergebnis und ohne Ergebnisorientierung verkommen Prozesse zum Selbstzweck.

Lean muss zwingend mit Agil zusammengedacht werden. Nur Beides zusammen spannt einen Denkrahmen auf, der letztendlich zu einem Mindset führt, die Basis für Erfolg ist.

Nun haben wir geklärt, was Lean, und in diesem Zusammenhang auch Agil, bedeutet. Hinter Beidem stehen keine Methoden, sondern Mindsets. Klären wir nun die Aktualität für den Erfolg von Unternehmen?

Ist Lean denn überhaupt noch zeitgemäß?

Ja, es ist in meinen Augen definitiv noch zeitgemäß. Im vorigen Kapitel habe ich Ihnen dafür bereits einige Argumente angereicht. Ich möchte nun gerne weitere Punkte für die Wichtigkeit eines integrierten Mindsets nach Lean und Agil anführen.

Die folgende Abbildung ist den Gedanken rund um die Taylor-Wanne, wie der Erfinder Gerhard Wohland diese nennt, angelehnt.

Vor der Industrialisierung war das wirtschaftliche Agieren auf lokale Märkte beschränkt, die gesättigt waren. Das handwerkliche Gewerbe war vorherrschend. Um auf diesen Märkten überlebensfähig zu sein, mussten die Unternehmen eine hohe Eigenkomplexität aufweisen, da die Umwelt diese ebenfalls innehatte. Zu diesen Zeiten gab es keine Standardisierungen. Lean war gar kein Thema; Redundanzen waren gewollt. Hierarchien bildeten sich nicht per Erlass, sondern natürlich entsprechend des Wissens, der Talente und der Erfahrungen der Menschen. An Best Practice und vorgefertigte Methoden war nicht zu denken.

Mit dem Einzug der Industrialisierung, sprich mit der Urbarmachung von Technik, wurde auch das wirtschaftliche Agieren ausgedehnt. Es war nicht nur lokal beschränkt. Es wurde die Basis für die Globalisierung gelegt. Dadurch wurden die Märkte, in denen die Unternehmen aktiv waren, die dann auch immer größer wurden, ausgedehnt. Die Märkte waren nicht gesättigt und Unternehmen konnten durch Schaffung von vorrangig effizienten Prozessen optimal agieren. Standardisierung war das Schlagwort. Geschäftsprozesse, an die sich alle zu halten hatten, wurden geboren. Wenige dachten, viele agierten. Die Unternehmen haben also ihre Eigenkomplexität minimieren können, gar müssen, um wettbewerbsfähig zu sein. Durch die Ausweitung der Märkte wurden nämlich auch deren Komplexitäten reduziert. Die Lehre vom Management von Unternehmen, wie es in vielen Büchern zu lesen ist, wurde in dieser Zeit geboren. Taylor sei Dank.

Mit dem fortschreitenden Agieren auf den globalen Märkten wurden diese immer gesättigter. Der Wettbewerb zwischen den Unternehmen um Marktanteile stieg an. Die Technik wurde genutzt, um die Vernetzung auf den Märkten zu erhöhen. Die vielen Märkte schlossen sich wieder zu einem großen Markt zusammen. Die Globalisierung war da. Damit wurde aber auch wieder die Komplexität des Marktes, also der Umwelt erhöht. Unternehmen sollten nun wieder reagieren und ihre Komplexität ebenfalls erhöhen, wie es vor der Industrialisierung der Fall war, um überlebensfähig zu sein. Tun sie das aber? Nein, zu beobachten ist, dass sie genau das Gegenteil tun. Es wird noch mehr über Standardisierung gesprochen. Es werden immer weiter lokale Effizienzen geschaffen. Künstlich geschaffene Hierarchien verhindern das Denken. Unternehmenslenker stecken in einem Dilemma, denn die Denk- und Handelsweisen der Industrialisierung funktionieren nicht mehr.

Was kommt zu kurz? Ein, wie im ersten Kapitel angesprochener, integrativer Mindset zwischen Lean und Agil. In Unternehmen müssen nämlich stetig Fragen zur eigenen Identität und Daseinsberechtigung gestellt und beantwortet werden, die da beispielsweise wären:

  1. Wer ist unser Kunde?
  2. Welchen Bedarf hat unser Kunde?
  3. Was wird für den Kunden besser, wenn dieser Bedarf gedeckt ist?
  4. Mit welchen eigenen Leistungen decken wir diesen Bedarf?
  5. Warum können wir diesen Bedarf besser decken als andere Unternehmen?
  6. Wie würde der Kunde reagieren, wären wir morgen nicht mehr da?

Für Unternehmen bedeutet das, eine gute Ausgewogenheit zwischen Effektivität („Die richtigen Dinge tun“) und Effizienz („Die Dinge richtig tun“) zu schaffen. Es müssen die richtigen Dinge richtig getan werden.

Der Grad der Effektivität drückt die Fähigkeit des Unternehmens aus, sich selbst zu organisieren und damit neue Muster (Prozesse, Produkte, Verfahrensweisen etc.) zu erschaffen. Man kann auch sagen, dass Effektivität für eine hohe Eigenkomplexität des Unternehmens steht. Unternehmen können beispielsweise in diesem Zusammenhang auf unterschiedlichste Kundenanfragen stets adäquat reagieren. Es herrscht eine hohe Vielfalt in den Produkten, Prozessen etc. vor.
Effizienz steht in diesem Falle für eine geringe Eigenkomplexität. Prozesse sind beispielsweise schmal und kostengünstig angelegt. Das geht dann zu Lasten der Vielfalt. Beides muss im Gleichklang (Fließgleichgewicht) gehalten werden.

Möchte man eine Rangfolge zwischen Effektivität und Effizienz einführen, dann würde ich Effektivität vor Effizienz setzen, dabei aber, und das ist ganz wichtig, nicht in ein „Entweder-Oder-Denken“ verfallen. Erst einmal ist es essentiell, die „richtigen“ Dinge tun zu wollen, bevor man sich Gedanken darüber macht, diese „richtigen“ Dinge dann auch „richtig“ umzusetzen. Hier kann man beim Übergang von einem global ungesättigten Markt (Phase 2 der Taylor-Wanne → „Anbieter-Markt“) zu einem global gesättigten Markt (Phase 3 der Taylor-Wanne → „Abnehmer-Markt“) einen entscheidenden Unterschied ausmachen, dem Unternehmen adäquat begegnen müssen, aber unzureichend tun. In der Phase 2 war relativ klar was getan werden musste. Es musste nur „richtig“, also kostengünstig und schnell geschehen. Alles war auf Effizienz getrimmt. In der jetzigen Phase 3 muss diese Sichtweise mit dem Mindset von Agil integriert werden, im Sinne von „Sowohl-Als-Auch“, was eine Hürde darstellt, worauf ich im kommenden Kapitel eingehen werde.

Erkennen sie, wie schön sich hier das Muster zur Ergebnis- und Prozessfokussierung schließt? Effektivität, und damit Ergebnisfokussierung, steht für Agil, Effizienz, und damit die Prozessfokussierung, für Lean. Beides muss zwingend integrativ betrachtet werden. Aber das hatten wir ja schon.

Die Ideen hinter Lean sind seit ca. 25 Jahren bekannt und noch immer hoch relevant. Warum wird es denn nicht konsequent in Unternehmen umgesetzt? Warum tun sich Unternehmen so wahnsinnig schwer damit, diese Konzepte umzusetzen?

Warum ist Lean so schwer umzusetzen?

Eine differenzierte Unterscheidung zwischen „Methode“ und „Mindset“ ist essentiell, um sich den Fragestellungen zu nähern.

Das Denken und Handeln von Menschen wird primär durch Strukturen geprägt. Damit meine ich auf der einen Seite interne Strukturen. Das sind die internen Modelle, die jeder Mensch besitzt, und über die jeder Mensch seine Wahrnehmung von und sein Denken über die Umwelt interpretiert. Also sein Mindset.

Zu den Strukturen zählen aber auch die externen. Das sind bewusst explizit ausformulierte Gesetzmäßigkeiten, nach denen ein System, wie jedes Unternehmen auch eines ist, in dem die Menschen agieren, funktioniert. Im Kontext der Unternehmen beantworten diese Strukturen in erster Linie die Fragestellung, wie Menschen miteinander denken und handeln. Es handelt sich hier also um dokumentierte Prozesse, Organigramme, Regeln etc.

Methoden, wie Kanban oder Scrum, werden stets durch diese externen und internen Strukturen von Menschen  interpretiert. Möchte man also die Methoden verstehen, sollte man sich Gedanken darüber machen, auf Basis welcher Strukturen die Erfinder dieser Methoden zum Zeitpunkt des Entwickelns dieser Methoden unterwegs waren. Wie gesagt. Lean kommt aus dem asiatischen Raum. Die Menschen dort haben andere interne Strukturen als die Menschen im westlichen Raum. Erkennen kann man das an den unterschiedlichen Denkrahmen, auf die ich gleich zu sprechen komme.

Methoden beeinflussen unser Denken und unser Handeln also nur sekundär. Dementsprechend wäre es auch fatal, einen Wandel auf Basis von Methoden gestalten zu wollen. Trotzdem tun wir es im Unternehmenskontext immer wieder, selbst wenn wir die Misserfolge wahrnehmen. Warum ist das so? Die Beantwortung dieser Frage möchte ich Ihnen noch kurz schuldig bleiben, denn sie baut auf die von mir angesprochenen internen Strukturen im Menschen auf. Widmen wir erst einmal den externen Strukturen.

Wir haben bislang betrachtet, was Lean und Agil bedeutet, und warum es noch immer so relevant für den Erfolg von Unternehmen ist. Nun setzen wir diese Erkenntnis in Bezug dazu, wie Unternehmen intern strukturiert sind. In der folgenden Abbildung habe ich die Struktur schematisch auf der linken Seite dargestellt.

Mit den derzeitig vorrangig vorherrschenden funktionalen Trennungen der Prozesse in den Unternehmen in Vertrieb, Einkauf, Logistik etc. entfremden diese sich vom Markt. Es werden nur noch interne Prozesse und Regularien bedient. Diese werden zum Selbstzweck und zur Autorität. Wir erzeugen scheinbare Kundenfokussierung. Es werden Sollbruchstellen in den Prozessen eingeführt, die Hürden und Schnittstellen in der Wertschöpfungskette erzeugen. Ich führe mal einige dieser Trennungen auf, die mir im Verlaufe meiner beruflichen Zeit so untergekommen sind.

  1. IT vs. Fachbereich
  2. Frontend vs. Backend bei Systemen
  3. Vertrieb vs. Einkauf vs. Logistik vs. Controlling (in der Abbildung exemplarisch aufgeführt)
  4. Order-to-Cash vs. Opportunity-to-Order vs. Finance-to-Manage

Selbst bei der letzten Trennungskategorie erzeugen wir keine so genannten End-to-End Sichten zum Markt, auch wenn wir hier die “-to-” Schreibweise einführen. Warum? Weil wir auch mit diesen Trennungen den Wertschöpfungsstrom vertikal schneiden. Der Mehrwertstrom wird durch diese funktionalen Schnitte gestört und muss nachträglich über Schnittstellen wieder zusammen geflickt werden. Das kostet natürlich Durchsatz an Mehrwerte für den Kunden und ist dementsprechend nicht zuträglich für den Erfolg der Unternehmen.

Diese Struktur stammt aus dem Industriezeitalter (→ Phase 2 der „Taylor-Wanne“) ist nicht verträglich mit den Ideen und Gedanken hinter Lean und Agil. Durch den Fakt anerkennend, dass Denken und Handeln von Menschen durch Strukturen, in denen Sie sich bewegen, konditioniert ist, ist auch schnell ersichtlich, warum sich Menschen derzeit in Unternehmen schwer tun, die Ideen hinter Lean und Agil zu operationalisieren.

Eine passfähige Struktur erkennen Sie in der obigen Abbildung auf der rechten Seite. Echte „End-to-End“ Strukturen gehen stets ohne Sollbruchstellen vom Kunden hin zum Kunden. Damit erzeugt man echte Kundenfokussierung. In diesem Sinne werden alle internen Trennungen in Prozessen, Rollen, Methoden, Standards etc. am Kunden ausgerichtet und haben damit Kundenrelevanz. Eine Trennung der Prozesse in Vertrieb und Einkauf beispielsweise ist nicht kundenrelevant. Der Kunde sieht das Unternehmen stets als ein Ganzes. Er macht keine Trennung in Einkauf und Vertrieb. Ich denke hier können Sie ebenfalls gut erkennen, dass diese Struktur einer Umsetzung der Ideen hinter Lean und Agil zuträglich ist. Möchten Sie mehr zu diesem Thema der Strukturen in Unternehmen erfahren, verweise ich Sie gerne auf mein Logbuch.

Warum ändern wir denn nun nicht so einfach unsere Strukturen in den Unternehmen, nach denen die Menschen denken und handeln? Hierfür thematisieren wir die den Menschen innewohnenden internen Strukturen, unseren Mindset, der sich unter anderem durch unseren Denkrahmen bildet. Es geht nicht darum, was wir denken, also nicht um Denkinhalte. Es geht im Denkrahmen eher darum, wie wir denken, also darum, welche Muster und Paradigmen unseren Denkprozessen zu Grunde liegen, um Inhalte überhaupt denken zu können.

Welche Paradigmen liegen unserem Denkrahmen, die aus dem Denksystem der zweiwertigen Logik nach Aristoteles entstanden sind, zu Grunde, und denen wir blind trauen?

  1. Wir denken, um die endgültige Wahrheit zu erlangen.
  2. Wir denken analytisch, indem wir Probleme in Teile zerlegen.
  3. Wir denken, um Objektivität herzustellen.
  4. Wir denken in Entweder-Oder-Relationen.
  5. Wir denken im Rahmen unserer zweiwertigen Logik.
  6. Wir denken in Beziehungen, die auf Ursache-Wirkung beruhen.

Ich möchte in diesem Beitrag auf den Punkt 4 näher eingehen. Zum einen würde eine Thematisierung aller Sachverhalte diesen Beitrag in Länge und Inhalt sprengen. Zum anderen wird bereits an diesem Punkt klar, wie unser Denkrahmen uns einem notwendigen Wandel im Wege steht. Möchten Sie mehr zur Erläuterung der anderen Punkt erfahren, schauen Sie gerne in meinem Logbuch nach.

Im „Entweder-Oder-Denken“ hat der Widerspruch keine Chance. Er wird ausgegrenzt. Widersprüchlichkeit ist formal-logisch nicht abbildbar, also wird er verneint. Wir Menschen in den westlichen Gesellschaften haben hier genau diese Prämisse. Wir können nicht wählen. Und genau das ist der Unterschied zu dem Denkrahmen der Menschen in den asiatischen Gesellschaften, die wählen können und wo deshalb auch ein „Sowohl-Als-Auch-Denken“ existiert.

Lebendigkeit und damit Menschlichkeit ist aber eben nun einmal paradox. Bedeutet es denn nun, dass wir in unserem Denkrahmen die Lebendigkeit ausschließen? Ja, genau das bedeutet es. Das steht natürlich in einem konträren Verhältnis zu den Ideen hinter Agil, wo es unter anderem sinngemäß heißt „Menschen vor Prozesse“.

Viele Initiativen zum Wandel in Unternehmen laufen ins Leere, weil sie Widersprüche nicht berücksichtigen. Wandel bedeutet ein gleichzeitiges Brechen und Befolgen von Systemregeln, brechen deshalb, weil man sonst nicht von einem Wandel reden würde und befolgen, weil man sonst als Störfaktor aus dem System gespült würde.

Es sollen im Rahmen eines Wandels andere Handlungen entstehen, denn nur die machen den Unterschied aus. Handlungen entstehen zu einem Großteil aus zugrunde liegenden Strukturen, in denen sich Menschen bewegen. Diese Strukturen wird man aber nicht ändern, so lange sich die Erfahrungen der Menschen nicht ändern, die aber wiederum nur aus veränderten Handlungen resultieren. Erkennen Sie das Henne-Ei Problem des Wandels und damit den Widerspruch? Was war zuerst da, die veränderten Strukturen oder das veränderte Handeln? Wandel geht nur über Handlungen, die man wider seiner Erfahrungen macht. Paradox, oder?

Ich möchte Ihnen nachfolgend einige widersprüchliche Fragestellungen zum Wandel von Organisationen anreichen, die gehandhabt werden müssen, um diesen erfolgreich gestalten zu können. Sie erkennen sicherlich an der Widersprüchlichkeit zwischen den Prinzipien und den Nebenwirkungen, dass Wandel formal-logisch nicht abbildbar ist und deshalb auch nicht über Methoden und Best Practice erfolgen kann. Die Tabelle habe ich einem außerordentlich spannenden Paper von Stefan Kühl entnommen.

Weitere Details und Erklärung im Kontext Widersprüchlichkeit und Wandel finden Sie hier.

Was bleibt denn nun übrig? Wir Menschen verstecken uns weiterhin hinter Methoden und absorbieren damit unsere Unsicherheit, die aber nur scheinbarer Natur ist, was wir aber nicht erkennen, da diese ja im blinden Fleck unseres Denkrahmens liegt. Diese Methoden aber, die schnell zu Hypes stilisiert werden, werden damit genauso schnell, da sie nicht zum Erfolg führen, zu Sündenböcken abgestempelt. Die Vergangenheit lehrt uns da so einige Beispiele. Nehmen Sie nur den Begriff „SOA“ (Service Oriented Architecture).

Ändern wir unseren Denkrahmen nicht, wird es Lean und Agil ähnlich ergehen. Wir interpretieren mit unseren nicht passfähigen Denkrahmen Methoden wie Kanban und Scrum. Diese nicht passfähige Interpretation führt dann zu nicht passfähigen Handlungen. Selbst neu kreierte Methoden, wie Scrumban verschlimmbessern die Lage nur, und zeigen nur den Teufelskreis auf, in dem wir gefangen sind.

Bei der Behandlung von Methoden betritt man die rationale „Bühne“. Das können und mögen wir, da es uns seit Beginn unserer Schulbildung eingetrichtert wurde. Es geht dann um Rezepte und der Mensch wird objektiviert. Beim Ändern unserer internen Strukturen müssen wir uns aber mit den Menschen an sich befassen. Hier haben aber unsere Fortschritte in den Wissenschaften dazu beigetragen, dass uns das eben nicht mehr so einfach fällt. Wir haben uns mittlerweile von uns selbst und von anderen Menschen entfremdet.

Ein erfolgreicher Wandel in Richtung Lean und Agil kann nur von Menschen erfolgreich gehandhabt werden, die im Sinne des Entwicklungspsychologen Jean Piaget eine gewisse Reife erlangt haben. In diesem Sinne reife Menschen haben ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen „ich“ und „wir“ aufgebaut. Sie müssen einen sehr stark ausgeprägten Bezug zu sich selber aufgebaut haben, um andere Menschen überhaupt schätzen und annehmen zu können. Des Weiteren müssen sie auch im „wir“ stets einen Bezug zu sich selbst finden. Beides, „ich“ und „wir“, funktioniert also nur im Einklang. Das haben reife Menschen erkannt. In unserer westlichen Gesellschaft denken wir zwischen „ich“ und „wir“ aber eine Dichotomie, formal-logisch hergeleitet aus unserer zweiwertigen Logik, die Widersprüche aussperrt. Wir sind noch nicht einmal in der Lage, uns im „ich“ bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren und trivialisieren uns damit immer mehr zu Maschinen, was sich in einer Methodenhörigkeit widerspiegelt. Unser zweiwertiger Denkrahmen führt also nicht nur dazu, dass wir das „wir“ vergessen, sondern auch das „ich“.

Menschen mit einer für einen Wandel notwendig erlangten Reife verlassen Unternehmen, wenn sie keine Chance erkennen, passfähige externe Strukturen, wie Prozesse, Organigramme, Regeln etc. aufzubauen. Unternehmen sind aber operational abgeschlossene Systeme. Wandel geht nur von innen heraus. Wenn nun diese Menschen Unternehmen verlassen, befeuern sie damit noch den Umstand, dass sich Unternehmen im Wandel schwer tun.

Im Rahmen eines notwendigen Wandels, den wir im Kontext Lean und Agil noch gehen müssen, sollten wir also bei den internen und externen Strukturen ansetzen. Strukturen konditionieren Menschen im Denken und Handeln. Sind diese Strukturen dann geändert, ändern sich entweder die Menschen in dem System ebenfalls oder sie verlassen das System. Es ist dann ihre Entscheidung. Das ewige Rufen nach externen Beratern ist hier nicht förderlich. Selber denken ist angesagt. Aber natürlich in einem neuen Denkrahmen.

Nun ziehe ich zum Ende noch den Rückschluss zum Titel dieses Beitrages. Sie kennen vielleicht den folgenden Witz. Frau bei IKEA: „Passt der Schrank in mein Auto?“. Daraufhin der Verkäufer: „Was fahren Sie denn für ein Auto?“. Die Frau wieder: „Ein grünes.“. Der Verkäufer dann: „Nein. Dann passt er nicht.“

Darüber lachen wir. Warum lachen wir denn nicht auch bei der Frage: „Ist Kanban eine Lean-Methode oder Scrum eine agile Methode?“ Diese beiden Fragen sind ähnlich relevant wie die Frage „Ist die Farbe blau schön?“ Wir begehen einen Kategorienfehler zwischen Kompliziertheit und Komplexität.

Indem wir im Kontext Agil und Lean immer sofort auf Methoden wie Scrum und Kanban fokussieren, begehen wir einen Kategorienfehler zwischen „Methode“ (Kompliziertheit) und „Denkrahmen“ (Komplexität). Die Art und Weise, wie Menschen in komplexen Umfeldern erfolgreich miteinander denken und handeln sollten, ist etwas Komplexes. Komplexität lässt sich aber formal-logisch nicht beschreiben. Versucht man sich an einer Beschreibung, sperrt man Widersprüchlichkeit aus, was letztendlich zu einer unangepassten Trivialisierung der Komplexität führt.

Die japanische Philosophie, auf der ja größtenteils die Ideen und Gedanken hinter Agil und Lean beruhen, geben auch hier Aufschluss darüber, liegen aber im blinden Fleck unseres zweiwertigen Denkrahmens. Die dortige Kampfkunst kennt drei Stufen des Lernens (Shu-Ha-Ri), die ein Schüler von den Anfängen bis zur Meisterschaft seiner Kunst durchläuft.

  1. „Shu“, als erste Stufe des Lernens bezeichnet, bedeutet so viel wie „erhalten oder gehorchen“. Man lernt, indem man stur gegebenen Regeln folgt. Ich spreche hier auch gerne von einem kontextlosen Befolgen von Prozessen.
  2. „Ha“, die zweite Stufe, lässt sich übersetzen mit „(auf)brechen, frei werden, abschweifen“. Hier geht es darum, die kontextlosen Regeln und Standards zu interpretieren und auf den Kontext abgestimmt zu variieren. Dazu gehört also, den Sinn und Zweck der einzusetzenden Methoden zu verstehen, um so über das reine Befolgen dieser hinaus zu kommen.
  3. „Ri“, als dritte und höchste Stufe, schließlich bedeutet „verlassen, trennen abschneiden“. Hier ist gemeint, die gegebenen Muster hinter sich zu lassen um, von eigenen Impulsen gesteuert, eigene Wege zu gehen. Die Erfahrung und das Beherrschen der Regeln ist dabei die Voraussetzung, um sich als Mensch im jeweiligen befindlichen Kontext unabhängig von Methoden zu machen.

Unternehmen der westlichen Gesellschaft bleiben häufig auf der ersten Stufe „Shu“ stehen, da der Übergang von der ersten Stufe zur zweiten mit einem Kategorienübergang von „kompliziert“ zu „komplex“ verbunden ist und deshalb nicht angegangen wird. Erkannte Missstände werden exklusiv auf der ersten Stufe behoben, indem Methoden und Modelle durch neue Methoden und Modelle abgelöst werden. Ich habe weiter oben in diesem Kontext das Beispiel „SOA“ angeführt. Methoden, wie Scrum und Kanban, haben stets rezeptartigen Charakter und beziehen sich deshalb stets auf die oben angesprochene erste Stufe „Shu“. Sie sperren den Menschen aus. Menschen machen Methoden aber erfolgreich, nicht umgekehrt.

Dieser blinde Fleck in unserem zweiwertigen Denkrahmen, also das Nichterkennen eines notwendigen Kategorienüberganges zwischen „kompliziert“ und „komplex“, führt in unserer westlichen Gesellschaft dazu, bislang noch unzureichenden bis keinen Erfolg hinter Lean und Agil verbuchen zu können.

Lassen Sie uns neu denken!



Kommentare

Bisher hat niemand einen Kommentar hinterlassen.

Kommentar schreiben

Melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.

Teilen

Weitere Inhalte