Das Organisationsverständnis von Erich Gutenberg und Frederick Taylor

Das Organisationsverständnis von Erich Gutenberg und Frederick Taylor

Dieser Beitrag beleuchtet das klassische Organisationsverständnis von Erich Gutenberg und Frederick Taylor. Als Hauptquellen beziehe ich mich dabei auf Gutenbergs „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre Band I.: Die Produktion“ (1965) und Taylors „Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“ (1913).

#leanmagazin
am 01. 02. 2022 in LeanMagazin von Dr. Thomas Daniel Zabrodsky


Für Gutenberg ist die Organisation ein Instrument, um eine bestimmte gewollte Planung umzusetzen.

Die Planung ist neben der Organisation und der Kontrolle nach Gutenberg Aufgabe der Unternehmensleitung, welche Gutenberg als dispositiven Faktor oder vierten Produktionsfaktor bezeichnet. Wir haben auf der einen Seite den dispositiven Faktor, der die Planung, Organisation und Kontrolle übernimmt, und auf der anderen Seite die Mitarbeiter, die in eine Reihe mit den anderen Produktionsfaktoren gestellt werden. Es kommt zur Trennung von Kopf- und Handarbeit. Die Betriebsleitung soll die vorhandenen Produktionsfaktoren (Werkstoffe, Betriebsmittel, Arbeitskraft) so miteinander kombinieren, dass damit ein Höchstmaß an Effizienz erreicht wird. Auch für Taylor hat die Betriebsleitung dafür Sorge zu tragen, dass die Kombination aus den verschiedenen Faktoren den höchstmöglichen Nutzeneffekt erreicht.

Die Organisation erfolgt nach Gutenberg über das Setzen von Weisungen.

Es sollen je nach Situation generelle oder fallweise Regelungen gesetzt werden. Generelle Regelungen sind bei ständig wiederholenden Aufgaben zu setzen, zum Beispiel ein bestimmtes Verfahren beim Einordnen von Waren, wo Arbeitsanweisungen gegeben werden, wo und wie die Waren zu lagern sind. Fallweise Regelungen sind festzulegen, bei Arbeiten, die sich nicht ständig in gleicher Weise wiederholen. Zum Beispiel bei Wareneinkäufen: Wie soll sich der Mitarbeiter verhalten, wenn ihm vom Lieferanten bestimmte Angebote gemacht werden? Hierbei soll dem Mitarbeiter ein gewisser Freiraum gelassen werden, in dem er sich bewegen kann. Zum Beispiel, bis zu welchem Einkaufsbetrag der Mitarbeiter selbst entscheiden darf. Ab einer bestimmten Grenze muss sich der Einkäufer dann mit seinem Vorgesetzten absprechen. Nach Gutenberg sollte aber stets das Ziel verfolgt werden, generelle Regelungen zu treffen, da diese planbarer und berechenbarer sind.

Dies beschreibt die formale Organisationsstruktur nach Gutenberg, Gutenberg verweist aber darauf, dass es auch eine informelle Organisation gibt. Die informelle Organisation ist jene Organisation, welche abseits der generellen Organisationsnormen agiert, sie stellt die sozialen Prozesse im Hintergrund dar. Sie ist nicht festmachbar oder planbar, sie bildet eigene soziale Normen und Führer heraus. Die informelle Organisation kann die Leistungsfähigkeit der Organisation fördern, zum Beispiel dadurch, dass sie einen schnelleren Kommunikationsaustausch ermöglicht. Sie kann aber auch störend auf die Organisation einwirken, zum Beispiel, wenn es zu Konfliktsituationen zwischen informellen Führern und Vorgesetzten kommt. Die informelle Organisation kann somit unterstützend oder gefährdend auf die formelle Organisation einwirken. Da die informelle Organisation aber nicht berechenbar bzw. planbar ist, soll sie nach Gutenberg zurückgedrängt werden, und dies soll über die Setzung der generellen und fallweisen Regelungen erreicht werden, um die Organisation handhabbar zu machen.

Das Setzen von Regelungen lässt das klassische Pyramidenstrukturverständnis der Organisation entstehen.

Es verlaufen von oben nach unten Weisungsbefugnisse, daneben werden Informationssysteme und Kommunikationswege etabliert, die auch in die andere Richtung verlaufen, damit Rückmeldungen an die Betriebsleitung zurück gesendet werden können. Ganz oben steht die Betriebsleitung, dann folgen die Bereichsleiter, die Vorarbeiter und zuletzt die „einfachen“ Mitarbeiter. Es obliegt der Unternehmensführung, die „wichtigen“ Entscheidungen zu treffen, und der Mitarbeiter soll diese so effizient wie möglich ausführen.

Taylor schlug schon 1913 nach seinen Zeitstudien in den Midvale-Stahlwerke vor, allgemeine Faustregeln durch wissenschaftliche Methoden zu ersetzen.

Bei den Zeitstudien wurde jede kleinste Arbeit in ihre einzelnen Tempos (Bewegungsabläufe) eingeteilt, wobei es darum ging, für die einzelnen Tempos die optimale Ausführung zu finden, also jede Aufgabe in jeder einzelnen Phase optimal auszuführen. Dies sollte auch dem Arbeiter zugutekommen, damit er kräftesparend arbeiten kann. Man wollte die Arbeiter geistig entlasten, damit sie sich auf die Ausführung konzentrieren können. Wie Aufgaben zu erledigen sind, wird dabei vom Arbeitsbüro (von „oben“) bestimmt.

Hebeisen (1999) geht davon aus, dass dieses Denken von Taylor in Gutenbergs faktortheoretischen Ansatz eingegangen ist. Die Organisation wird bei Gutenberg als eine Produktionsfunktion dargestellt. Diese gibt an, mit welchen Kombinationen der Produktionsfaktoren welche Outputs erzielt werden können. Die Produktionsfunktion ist so zusammenzustellen, dass sie nach den Kriterien der Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Rentabilität maximal ist. Es wird dabei von dem Verständnis ausgegangen, dass die Organisation durch die Produktionsfunktion real abgebildet werden kann und die Organisation anhand ihrer Formel gesteuert werden kann. Es entsteht ein lineares Verständnis der Organisation; verändert man einen Faktor in der Formel um einen bestimmten Wert, so wird sich der Output am Ende ebenfalls um einen bestimmten Wert verändern. Dadurch wird ein Mittel-Zweck-Denken eingeführt, das die Organisation in eine Triviale Maschine (Heinz Foerster) verwandelt. Die Organisation ist ein Mittel, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Der Plan bzw. die Konstruktion der Maschine werden dabei von außen (dispositiver Faktor) vorgegeben. In diesem Verständnis muss die Unternehmensleitung die Zügel fest in der Hand halten, eine Planung entwickeln, deren Durchführung gewährleisten und das Ergebnis dann kontrollieren. Dies alles unter dem Aspekt der Effizienz. Taylor spricht von einem „one best way“ für die Kombination der Produktionsfaktoren, welcher sich über Testungen finden lässt.

Aus den obigen Überlegungen wird ersichtlich, dass der Faktor Mensch nicht als Person interessiert, sondern nur seine Arbeitsleistung.

Denn die Arbeitsleistung ist das, was mit den anderen Produktionsfaktoren kombiniert wird. Der Faktor Mensch wird wie die Faktoren Betriebsmittel und Werkstoffe unter dem Gesichtspunkt des ökonomischen Filters betrachtet und in der Produktionsfunktion eingesetzt. Alle Änderungen die mehr Nutzen stiften als Kosten verursachen, würden nach dem faktortheoretischen Ansatz von Gutenberg befürwortet werden. Wenn zum Beispiel die Kosten eines Betriebskindergarten niedriger ausfallen als die daraus entstehende Erhöhung des Outputs, wäre aber auch ein Kindergarten nach der Auffassung des gutenbergschen Modells einzurichten.

An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass weder Gutenberg noch Taylor dafür eingetreten wären, Mitarbeiter auszubeuten. „[…] Anderseits kann es ganz entgegen den Ideen des neuen Systems und entgegen dem ursprünglichen Zweck dazu verwendet werden, die Arbeiter rücksichtslos anzutreiben, für annähernd gleichen Lohn wie früher eine größere Tagesleistung zu vollbringen.“ (Taylor 1913) Taylor war sehr darauf bedacht, einen Interessenausgleich zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensleitung zu schaffen. Die Durchführung der Zeitstudien, die Einbringung der Naturwissenschaften sowie die Trennung von Kopf- und Handarbeit sollten allen zugutekommen. Viele Unternehmer waren aber nicht bereit, die langen Vorlaufzeiten des Systems (z.B. die Durchführung der Zeitstudien) von Taylor abzuwarten, und führten zum Beispiel nur Akkordlöhne ein.

Neben den positiven Intentionen von Gutenberg und Taylor sollte man aber nicht die Schwierigkeiten übersehen, die mit ihren Vorstellungen von Arbeitsorganisation einhergehen. Zum Beispiel wird durch die Trennung von Kopf- und Handarbeit, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Organisation geschaffen, die die Menschen auf ihre Arbeitskraft reduziert, diese in eine lineare Struktur zwingt und soziale Beziehungen ausblendet.



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