Stress sabotiert Veränderungen

Stress sabotiert Veränderungen

In der heutigen Berufswelt haben die körperlichen Belastungen stark abgenommen, aber psychisch wird die Arbeit für alle, für das Management und die MitarbeiterInnen, immer anstrengender.

#leanmagazin
am 26. 04. 2021 in LeanMagazin von Guenther Wagner


Stress ist der Hemmschuh von Lean Management

Lean Management erfordert eine neue Arbeitsweise, neue Methoden sowie Prozesse  und stellt neue Anforderungen (Kreativität, Kollaboration, Agilität,…), was aber mit steigender Belastung und dem damit ansteigenden Stress nicht machbar ist. Das belegen Ergebnisse von ForscherInnen der Universität in Braga in Portugal. Stress verändert die Gehirnstruktur, und das in einer Weise, die gerade jetzt in Umbruch-Zeiten besonders unangenehme Begleiterscheinungen haben:

  • Stress bildet jene Hirnbereiche zurück, die für in die Zukunft gerichtetes, flexibles und logisches Denken zuständig sind. Doch genau das braucht jedes Management.
  • Statt logisches Denken zu fördern, unterbindet Stress dieses und vergrößert jene Hirnareale, die dafür verantwortlich sind, alte Gewohnheiten und mechanistisches Handeln zu stärken. Damit kann agiles, innovatives Handeln kaum in Schwung kommen.

Stress ist nie gut, dem wird sicher niemand widersprechen. Aber noch immer wird meiner Beobachtung nach zu wenig getan. Die meisten Führungskräfte wurschteln sich mit ihrem Stress irgendwie durch den Arbeitsalltag, und irgendwie scheint das auch zu klappen. Viele Führungskräfte meinen, wenn sie es bisher mit ihrem Stress geschafft haben erfolgreich voranzuschreiten, dann werden sie die neuen Methoden und Verfahrensweisen zur effizienten Gestaltung der Arbeitsprozesse in der gleichen Weise auch schaffen.

Aber diese Annahme ist trügerisch. Das kann niemandem vorgeworfen werden. Darüber hinaus ist für viele Unternehmen ein entsprechendes Stress-Management der Führungskräfte, wie auch MitarbeiterInnen eine persönliche Angelegenheit. Scheinbar geht man davon aus, dass die meisten Führungskräfte und MitarbeiterInnen von Haus aus gut mit Stress umgehen können. Studien belegen jedoch das Gegenteil:

Nach einer aktuellen Analyse der Krankenkasse DAK-Gesundheit im Jahr 2017 hat sich die Zahl der Fehltage auf Grund von psychischen Leiden in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht. So waren die Betroffenen im Schnitt für 38 Tage krankgeschrieben. Damit haben psychische Erkrankungen die längsten Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Das Centrum für Disease Management an der Technischen Universität München hat errechnet, das durch Stress und Druck am Arbeitsplatz in Deutschland jährlich ein wirtschaftlicher Schaden von mindestens acht Milliarden Euro entstehe. Und bereits im BKK Gesundheitsreport 2010 zeigte sich, dass die Zahl an Krankheitsständen in Deutschland, ausgelöst durch ein Burnout-Syndrom, seit 2004 deutlich angestiegen ist. Der Tod durch einen wahrscheinlich stressbedingten epileptischen Anfall von Moritz E., eines deutschen Praktikanten in London, zeigt, was vielleicht der letzte Schritt zur Bewältigung von Stress ist. Ja, das ist makaber, ich weiß. Doch vielleicht braucht es genau das, um bereit zu sein, den Stress wirklich wahrzunehmen.

Die Natur hat die Menschen zwar mit einem ausgeklügelten Anti-Stress-Programm ausgerüstet. Aber die Natur ging davon aus, dass die stressigen Situationen nur kurz andauern, und dann wieder Ruhe einkehrt. Heute sind jedoch die Ruhephasen im Management kaum noch vorhanden bzw. fast ganz weggefallen. Das hat unweigerlich Folgen. Wie ich anfangs in diesem Artikel erwähnt habe, verändert Stress das Gehirn in der Weise, dass agiles, flexibles Handeln unterbunden wird, und gewohnte Automatismen gestärkt werden. Das ist jedoch nur ein Aspekt. Im Stressmodus werden Menschen vorwiegend vom Instinkt Angriff oder Flucht geleitet, agieren im sogenannten Reptilien-Modus. Die Selbstkontrolle wird dabei weitgehend sabotiert, sogar dann, wenn der Stress moderat ist.

Das Bewusstsein, im Besonderen das höhere Bewusstsein mit dem rationalen Bewusstsein, wie auch das emphatische Fühlen, ist im Stressmodus nahezu lahmgelegt. Genau das führt in der Folge dazu, die Dinge zu verharmlosen. Die Führungskräfte zeigen dann ein Verhalten: „Wir haben alles im Griff“.

Nachdem jedoch die meisten anderen WettbewerberInnen in ähnlicher Weise agieren, scheint alles relativ gut zu laufen. Und der Stress – mit seinen Folgen – kann weiterhin zur Seite geschoben werden, mit dem Hinweis: das kann noch etwas warten. Der Stress wirkt aber auch, wenn dieser nicht bewusst wahrgenommen wird. Die notwendigen Veränderungen ertrinken dann unbeachtet in der Flut von Stresshormonen. Das sollte doch zu denken geben.

Ebenen der Auseinandersetzung mit Stress

Niemand im Management entgeht dem Stress. Doch dieser ist so sehr zur Gewohnheit geworden, und die Stress-Not-Programme arbeiten scheinbar noch so gut, dass er kaum bewusst wahrgenommen wird. Der Stress hat ein sehr ausgeklügeltes System, um mit Notsituationen umgehen zu können. Doch gerade das führt dazu, dass man den Stress unterschätzt. Mag sein, dass schon einige unter Ihnen sich intensiver mit dem Stress auseinandersetzen, doch meist nur rational – so meine Beobachtung. Viele suchen kognitiv nach Erklärungen und Lösungen, um mit dem Stress fertig zu werden. Das ist ein wesentlicher Schritt, doch das genügt leider nicht.

Stress entsteht im Körper. Und deshalb kann auch nur auf dieser Ebene nachhaltig erfolgreich stressmindernd bzw. stresslösend gearbeitet werden. Auf der rationalen Ebene kann über Stress diskutiert werden, jedoch wird er dort nicht abgebaut.

Erste psychische Anzeichen für eine Stressbelastung können Schlafprobleme, Unwohlsein, Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, Gereiztheit, Motivationsprobleme und Ängste sein. Zu den körperlichen Früh-Symptomen gehören u.a. Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Müdigkeit, Herz- Kreislaufbeschwerden, Rastlosigkeit oder Sodbrennen.

Von diesem Wissen ausgehend unterliegen viele einem Irrtum im Stress-Management. Für ein erfolgsversprechendes Stress- und damit eben auch Lean Management ist es daher unausweichlich:

  • Stress rational zu verstehen,
  • Stress körperlich und emotional zu fühlen, sprich Achtsamkeit üben,
  • und in Folge die Resilienz gegenüber Stress zu stärken.

Führungskräfte werden jedoch meist bloß in Zeitmanagement, Verhandlungsführung, Qualitätsmanagement etc. geschult. Das Managen von Stress und die Förderung von Resilienz findet man kaum in den Aus- und Weiterbildungsangeboten von Führungskräften. Doch in VUCA-Zeiten ist ein tiefgreifendes Stress-Management notwendig, wenn nicht sogar überlebenswichtig. Das heißt, dass die Führungskräfte der Zukunft ein Wissen über den wirtschaftlichen Tellerrand hinaus haben sollten. Die Führungskräfte sollten neben dem fachlichen Know-How, auch Wissen über sich selbst als Mensch und die Wirkungsmechanismen von Systemen haben.

So kann man beispielsweise von der Natur lernen, dass in Krisenphasen die Natur erstaunlich arm an evolutionären Innovationen ist. Die Vorbereitung der Innovationen, um anstehende Notsituationen gut zu meistern, finden lange vorher statt, in Zeiten der Ruhe. Damit jedoch die in Ruhephasen angelegten Innovationen dann tatsächlich zum Wirken kommen, bedarf es einer konkreten Krisensituation, einem Kollaps des alten Systems.

Stress ist wie eine Gitarrensaite

Stress muss jedoch nicht immer nur negativ betrachtet werden. Jede Stresssituation hat zuerst einmal die Aufgabe, ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen, um damit die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. So haben die Harvard Wissenschaftler Robert Yerkes und John Dodson herausgefunden, dass die Aufmerksamkeit steigt, je mehr Stresshormone der Körper ausschüttet. Aber jetzt kommt der Hacken. Das funktioniert eben nur, wenn das optimale Maß eingehalten wird. Jonathan S. Abramowitz meint:

Stress ist wie eine Gitarrensaite. Ist diese zu lose gespannt, lassen sich nur flache, tiefere Töne spielen. Fehlt die Spannung völlig, lässt sich gar kein Ton hervorbringen. Wenn die Saite jedoch zu stark gespannt ist, gibt diese zu hohe, scharfe Töne oder die Saite reißt sogar.

Genau das kann man beispielsweise auch im Aikido wahrnehmen – so meine langjährige persönliche Erfahrung. Die Übungen im Aikido funktionieren in der richtigen Spannung am besten. Das heißt, man sollte weder unter- noch überspannt sein. Das nennt man, aus der Grundspannung heraus agieren. Doch die wenigsten Menschen handeln aus ihrer Grundspannung heraus, sondern meist aus einer Über- oder Unterspannung. Ich riskiere sogar zu behaupten, dass die wenigsten Menschen Ihre persönliche Grundspannung überhaupt kennen und wissen, wie sich das anfühlt. Das wage ich deshalb zu sagen, weil ich selbst ebenfalls lange nicht wusste, was meine persönliche Grundspannung ist. Man könnte zwar meinen, dass man das weiß, aber bei diesem Punkt erliegen viele einem Irrtum. Das kann jedoch niemandem zum Vorwurf gemacht werden, denn die Art und Weise wie wir alle sozialisiert werden, zerstört das Wissen und Gespür dazu.

Meist sind es nur wenige, die sich den Zugang zu ihrer Grundspannung bewahren konnten. Ich selbst konnte erst durch ein intensives Aikido-Training, in Verbindung mit Achtsamkeits-Retreats wieder spüren lernen, wann ich aus meiner Grundspannung heraus agiere. Das heißt jedoch nicht, dass man dann für immer in der Grundspannung bleibt. Selbst als langjährig praktizierender Aikido- und Achtsamkeits-Schüler falle ich unentwegt aus der Grundspannung heraus. Das ist lt. Meinung meiner LehrerInnen ganz normal. Aber ich spüre, wann das passiert und kann zeitgerecht mit meiner doch schon ganz gut verankerten Achtsamkeit wieder in die Grundspannung zurückfinden. Dann übernimmt nicht mehr der Stress die Führung, sondern man selbst hat Macht über den Stress. Selbst die kleine Achtsamkeits-Übung, den eigenen Atem zu beobachten, hilft schon in Ansätzen dem Stress seine Macht zu entziehen.

  • Versuchen Sie vielleicht jetzt in diesem Moment wahrzunehmen, ob Sie gerade flach oder tief (aus dem Bauch heraus) atmen, ob Sie langsam oder schnell atmen, ob Sie vielleicht sogar nach Luft ringen und einen tiefen Atemzug nehmen möchten, um wieder mehr Luft zu bekommen, ob Sie gekrümmt sitzen und Ihr Atem damit nicht frei fließen kann, …

Meiner langjährigen Erfahrung nach wirkt Achtsamkeit wie ein Breiband-Anti-Stress-Mittel. Deshalb ist für mich Achtsamkeit ein unabdingbares Instrument im Stress-Management. Das heißt zum Beispiel auch, das Mittagessen bewusst als Ruhephase zu sich zu nehmen. Lt. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) verzichten jedoch schon rund 26 Prozent auf diese Pause. Da hilft dann auch kein Workshop für eine bessere Stressbewältigung.

Stressbewältigung beginnt bei kleinen Dingen, beim bewussten Wahrnehmen vom Atem, dem Bewusstwerden wie man liest, schnell, überfliegend, ungenau an andere Dinge bereits denkend, usw. Diese kleinen Achtsamkeitsübungen regelmäßig angewandt, nehmen dem Stress etwas Fahrt aus den Segeln. Das ist ein guter Schritt hin zu weniger Stress. Das genügt jedoch bei weitem nicht, um den Stress dauerhaft und tiefgründig in den Griff zu bekommen – das muss ich Ihnen leider auch sagen. Schnelle Lösungen gibt es für die Stressbewältigung nicht, aber gute Möglichkeiten mit dem Stress erfolgreich fertig zu werden.



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